Über die Zeit

54. Dialog mit dem schlauen Bergschaf-Bock

Ich liege am Sofa und versuche zu lesen. Der Bock sitzt am Fenster und schaut in den sich langsam und viel zu früh ankündigenden Frühling. Die Primeln überziehen den Garten, Schneeglöckchen und Frühlingsknotenblumen sind teilweise schon verblüht - selbiges gilt für die verschiedenfärbigen Krokusse.

Ich: Die Zeit verrennt, lieber Bock!

Bock: Wem sagst du das?

Ich: Empfindest du das ebenso? Je älter ich werde umso schneller vergehen Jahre, Monate, Wochen ... sie fliegen dahin ... und ich werde zwar älter, fühle mich aber grundsätzlich immer gleich. Genauso wie mit 30 oder mit 15 oder so. Das ist wahrscheinlich nicht wirklich der Fall, ich war damals sicher ganz anders und hatte andere Gefühle und Gedanken – trotzdem scheint es mir so, als ob ein Kern von mir der selbe war und bleibt.

Bock: Also ich verändere mich nicht, ich bleibe immer gleich, ich altere auch nicht, ich bin jung und fit wie damals in den korsischen Bergen!

Ich: Soll ich dich einmal auf den Berg da vorne jagen und dann schauen wir ob du noch immer gleich fit bist?

Bock (pickiert): Ist ja egal. Warum ist das überhaupt ein Thema für dich? Ich sehe darin keinen Sinn mein Alter zu verfolgen. Irgendwann ist es vorbei und Ende. Kein Drama.

Ich: Ich denke, in unserer Gesellschaft ist das gar nicht so einfach. Da ändert sich einfach im Umfeld schon einiges wenn man älter wird. Beruflich: wie lange und wie sehr ist man eingebunden, bekommt man genug Geld zum Überleben im Alter ... wenn man krank wird, wer pflegt einen, wer zahlt das ... ? Wie kommt man da raus, wenn man nicht mehr will?

Bock: Hmmmm, ok ich denke ich verstehe. Euer Verunsicherungssystem verfolgt euch bis zum Tod. Da kannst du wohl nur an dir arbeiten, dass du tust was du kannst, aktiv bleibst und für den Rest Urvertrauen behältst. Mehr fällt mir dazu jetzt nicht ein.

 

Weiterführende Literatur:

Elke Heidenreich, 2024: Altern - Reihe Leben. Hanser Berlin

Alle wollen alt werden, niemand will es sein. Ist das nicht absurd?

Das Leben lesen: Elke Heidenreich schreibt ganz persönlich über ein Thema, das uns alle betrifft. Ein ehrliches Buch über das Altern, das Mut macht.

Alle wollen alt werden, niemand will alt sein. Der Widerspruch ist absurd, das Leiden daran real. Wie lernen wir, so gut wie möglich damit zurechtzukommen? Geht das, alt werden und ein erfülltes Leben führen? Elke Heidenreich hat sich mit dem Altwerden beschäftigt. Herausgekommen ist dabei ein Buch, wie nur sie es schreiben kann. Persönlich, ehrlich, doch nie gnadenlos, mit einem Wort: lebensklug. Sie denkt über ihr eigenes Leben nach, und das heißt vor allem, über ihre Beziehungen zu anderen Menschen. Im Alter trägt man die Konsequenzen für alles, was man getan hat. Aber mit ihm kommt auch Gelassenheit, und man begreift: "Das meiste ist vollkommen unwichtig. Man sollte einfach atmen und dankbar sein."