23. Dialog mit dem schlauen Bergschaf-Bock
Der Bock fährt erschrocken aus dem Schlaf empor. Er war kurz auf dem Sofa eingenickt ...
Ich lege die Zeichenfeder weg und frage: Ein Albtraum?
Bock (zerstreut): Es war fürchterlich! Ich – ich – ich bin auf einen sehr, sehr hohen Berg geklettert ... es war wunderschön ... tief verschneit, die Bäume waren von weiß strahlenden Schneemassen wie aus Zuckerguss überzogen. Die Luft glitzerte voller kleinster Kristalle gegen den tiefblauen Himmel ...
Ich: Aber das klingt ja fantastisch!
Bock (schaut mit leerem Blick an mir vorbei und fährt mit bitterer Stimme fort): ... als ich oben ankomme, ist das Gipfelplateau voller Menschen in bunter Kleidung und es wird bemerkenswert hässliche Musik unglaublich laut gespielt: „I sing a Liad füa mi" ... und ein Flughafen voller Privatjets und Hubschrauber nimmt die Hälfte des gesamten Plateaus ein.
Ich: Unfassbar – wie grauenhaft!
Bock (triumphierend): Sag ich doch! Aber das war noch gar nichts! Die Leute grölten „Jooo, i bin mitm Privatjet do!" und tranken Champagner mit Goldplättchen, jubelten und waren so ansteckend berauscht, dass ich in den Wirbel ihrer überbordenden Laune hineingesogen wurde – in ein „Es gibt kein morgen“ mit Pulverschnee. Du weißt schon ...
Ich: Ja sicherlich, typisch – und was passierte dann?
Bock: Hmmm ... Also ich rekelte mich gerade noch exaltiert auf einem goldenen Klavier und wollte dann die Situation nützen, um ein paar Botschaften an Frau und Mann und alle dazwischen und außerhalb zu bringen, als sich so ein Typ mit glatt gegeltem Haar und fettig glänzender Wildlederhose auf mich zu bewegte und militant lallte: „Kim Bock, jetzt gemma ziplinen. Du störst unser Leben!“ Er packte mich sehr unsanft – ich wehrte mich natürlich standhaft, aber er bekam Hilfe von sehr vielen sehr starken Typen mit sehr gegelten Haaren und die zerrten mich vom Tisch in Richtung Ausgang. Dort fesselten sie mich mit Gurten, hängten mich an die Seilbahnseile und stießen mich in Richtung Tal.
Ich gehe zum Bock und umarme ihn (er zittert ein wenig): Wie furchtbar und unfair ... Konntest du wenigstens deine grundlegendsten Botschaften anbringen?
Bock: Aber natürlich, du kennst mich ... Doch das Schlimmste war – bei der Talfahrt – der rasante Temperaturanstieg ... ich habe gedacht, ich verglühe – dann bin ich aufgewacht.
Ich drücke ihn noch fester an mich und wuschle durch sein Fell: Ist das Goldstaub?
Wie es bei mir ganz gut funktioniert und was ich selbst beitragen kann:
Ich versuche mich nicht zu sehr aufzuregen. Ich versuche, optimistisch zu bleiben und daran festzuhalten, dass der Mensch im Grunde gut ist. Und dass wir zusammenhalten, wenn's eng wird ... und ... oft funktioniert eher nichts.
Was zu tun ist:
Umverteilung und existentielle Gerechtigkeit.
Besteuerung der Reichen: von Vermögen, Finanztransaktionen, Erbschaft, Schenkung und Einkommen. Beseitigung von Steueroasen, Schlupflöchern und Graubereichen. Wir können uns das als Gesellschaft nicht mehr leisten.
Weiterführende Literatur:
Marlene Engelhorn, 2022: Geld.
Kate Raworth, 2018: Die Donut-Ökonomie. Carl Hanser Verlag.
Ulrike Hermann, 2022: Das Ende des Kapitalismus - Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden. Kiepenheuer&Witsch Verlag.
Club of Rome (Hrsg.), 2022: Earth for All – Ein Survivalguide für unseren Planeten. Der neue Bericht an den Club of Rome, 50 Jahre nach »Die Grenzen des Wachstums«. oekom Verlag.